Was fehlt zum Durchbruch der E‑Mobilität?
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, auch was Mobilität und Autos angeht. Da setzt er auf bewährte Verbrennungsmotoren. Auf der anderen Seite beunruhigt jedoch der Abgas-Skandal. Trotzdem können sich die meisten nicht zu einem E‑Fahrzeug durchringen. Woran das liegt, und an welchen Herausforderungen die Anbieter noch arbeiten müssen, klärt folgender Beitrag.
E‑Mobilität ist die Zukunft. So lautet es in allen erdenklichen Medien, die uns im Alltag mit Informationen berieseln. Dennoch ist der Marktanteil von Elektrofahrzeugen weltweit gering bis marginal. Grund ist der Mangel an Ladestationen. Zudem sind die Fahrzeuge zu teuer, haben zu kurze Reichweiten, sind zu leise und brauchen lange zum Laden. Zusätzlich sind die Fahrzeuge so futuristisch im Design, dass es viele Kunden abschreckt, die Wert auf Ästhetik legen. Kommt dazu, dass sich die neuen Technologien noch nicht bewährt haben.
Die Befürworter der E‑Mobilität zeigen genau das Gegenteil auf. Die Wahrheit liegt schlussendlich beim Kunden. Nur die Kunden entscheiden, ob sich etwas am Markt durchsetzt oder nicht. Das Verhalten der Kunden hängt aber davon ab, wie sie Innovationen gegenüberstehen, aufnehmen und adoptieren. Dies veranschaulicht die Diffusionstheorie mit den verschiedenen Kunden- und Markt-Typen.
Aktueller Markt für Elektroautos
Zurzeit sind es die Innovatoren und frühzeitigen Anwender, die ein E‑Fahrzeug kaufen. Beide machen den frühen Markt aus. Der Absatz von E‑Fahrzeugen befriedigt den Wunsch, als Erster etwas Neues zu haben, den sozialen Status zu füttern und cool zu sein. Käufer nehmen in Kauf, dass die Leistungen, wie beispielsweise die Reichweite, nicht gleich gut sein müssen wie bei vergleichbaren Fahrzeugen. Dafür bevorzugen sie eine bessere Beschleunigung und können ökologischer fahren. Die Innovatoren und die frühzeitigen Anwender kommunizieren miteinander, sind aufgeschlossen und beeinflussen sich gegenseitig.
Die frühe Mehrheit besteht aus Pragmatikern, die nicht gerne Risiken eingehen. Sie setzen auf bewährte Systeme, Optionen und Produkte. Mit Innovationen in der Mobilität möchten sie echte Probleme lösen. Sie stehen den Innovatoren und den frühzeitigen Anwendern skeptisch gegenüber. Die späte Mehrheit folgt dann der frühen Mehrheit, da die Innovation sich mehrfach bewährt hat und die Risiken minimiert wurden. Beide zusammen machen den Massenmarkt aus.
Über die Nachzügler sprechen wir hier gar nicht, da diese so resistent gegen Veränderungen sind, dass sie noch heute ein Viereckholzrahmen als Rad benutzen.
Die Kluft Überwinden
Da der frühe Markt und der Massenmarkt nicht miteinander kommunizieren, kann kein Sog der Begeisterung entstehen. Ihre Meinungen über Innovationen sind zu unterschiedlich, und Risiken könnten nicht differenzierter bewertet werden. Zwischen ihnen herrscht eine grosse Kluft. Um die E‑Mobilität massentauglich zu machen, müssten Anbieter diese Kluft überwinden. Unter anderem wird empfohlen, ein komplettes und vollständiges Angebot für eine Kundengruppe im Massenmarkt anzubieten. Tesla macht es mit den Super-Charger-Stationen vor. VW strebt ebenfalls die Verbesserung der Kundenerlebnisse an.
Aber die E‑Mobilität besteht nicht nur aus Fahrzeug und Ladeinfrastruktur. Die Kunden durchlaufen mit der Nutzung von Mobilitätslösungen viele Stationen. Sie haben Berührungspunkte mit unterschiedlichen Anbietern. Um nur einige zu nennen, wären da die Fahrzeughersteller, Garagen, Tankstellen, Einkaufszentren, Strassen, Parkplätze, Staus und vieles mehr. Es braucht eine ganzheitliche Betrachtung der Kundenerlebnisse mit der E‑Mobilität. Wären die Kunden mit dem jetzigen Angebot über alle Berührungspunkte hinweg zufrieden, hätte sich die E‑Mobilität schon durchgesetzt und die Kluft wäre überwunden.
Kundenzufriedenheit
Welche Faktoren beeinflussen die Kundenzufriedenheit? Es lässt sich zwischen Begeisterungs- und Leistungsfaktoren sowie Basis- oder Hygienefaktoren unterscheiden. Die Ersteren lösen beim Kunden einen erhöhten Nutzen aus, beseitigen Unzufriedenheit oder machen zufrieden. Produkte und Dienstleistungen lassen sich so von der Konkurrenz differenzieren und sie begeistern, weil der Kunde sie nicht erwartet.
Für Begeisterung sorgen die E‑Fahrzeuge eigentlich schon heute mit besserer Beschleunigung, ökologischem Fahren, weniger Verschleissteilen und dadurch geringe Kosten im Unterhalt und weniger Ausfällen der Fahrzeuge. Überdies sind sie auch noch leiser. Je nach Modell ist sogar mehr Platz vorhanden als in einem vergleichbaren Fahrzeug mit Verbrennungsmotor.
Basis- oder Hygienefaktoren dagegen sind Merkmale, welche der Kunde erwartet. Sind sie nicht vorhanden, führt dies zu Unzufriedenheit. Werden sie erfüllt, entsteht aber keine Zufriedenheit. Ein Beispiel: Verglichen mit den Alternativen, also Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren, ist die Fahrt von Basel nach Locarno komplizierter. Der Fahrer muss seine alten Gewohnheiten ablegen und anfangen zu planen. Konkret heisst das, er muss seine Route so festlegen, dass er die Möglichkeit hat zu laden. Er muss sich überlegen, ob er die richtige Kreditkarte oder das richtige Abonnement für die Ladestation hat, damit er überhaupt laden kann. Da die Ladung der Akkus länger geht, muss er früher abfahren, um rechtzeitig am Zielort anzukommen. Vorausgesetzt die Ladestation ist frei. Wenn nicht, kann er nicht einfach zehn Minuten länger einplanen, wenn drei Autos vor ihm noch tanken müssen. Nein, er muss über eine Stunde warten, sollten die Ladestationen besetzt sein. Also braucht er für eine Fahrt von drei Stunden nun eine Stunde länger mit einem Elektrofahrzeug.
Ein weiteres Beispiel ist der Kauf eines E‑Fahrzeugs. Um das Potenzial von Elektrofahrzeugen voll ausschöpfen zu können, darf der Kunde eine Ladesäule für sich zu Hause installieren lassen. Dies beinhaltet aber weitere Aufgaben und Schritte, die vorher nicht notwendig gewesen sind.
Die Erlebnisreise des Kunden mit der E‑Mobilität erfüllt nicht alle Basis- oder Hygienefaktoren, welche sich in uns über Jahrzehnte, wenn nicht sogar ein Jahrhundert lang, in einem mentalen Modell der Mobilität eingebrannt haben. Die Alternativen, also Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren, sind der Massstab, an dem potenzielle Käufer Elektrofahrzeuge messen. Kompromisse einzugehen gegenüber einer bestehenden, funktionierenden und etablierten Lösung sind nicht tragfähige Geschäftsmodelle für einen Massenmarkt. Solange dies so bleibt, wird die breite Masse keine E‑Fahrzeuge kaufen, ausser natürlich die Verbrennungsmotoren werden verboten, wie Norwegen dies aktuell diskutiert.
Vergleich mit dem E‑Bike
Heute ist das E‑Bike sozusagen nicht mehr wegzudenken. Dabei war der Weg zum Massenmarkt nicht selbstverständlich. Der Erfolg des E‑Bikes hängt stark mit der Befriedigung von unterschiedlichsten Bedürfnissen von Kunden zusammen. Da spielte der Wettbewerb unter den Herstellern eine grosse Rolle, die immer neuere Modelle auf den Markt brachten. Dazu kam die Weiterentwicklung der Akkus durch Technologie-Partner, welche die nötigen Erfahrungen und Ressourcen hatten.
Die Pioniere unter den E‑Bike-Herstellern stellten und stellen noch heute E‑Bikes zum Testen zur Verfügung. Potenzielle Kunden kommen so mit dem E‑Bike in Berührung und werden in den Verkaufstunnel gezogen. Diese Vorgehensweise ist auch bei den Elektrofahrzeugen zu erkennen, obwohl es noch Luft nach oben gibt.
Aber entscheidend ist, dass man mit einem E‑Bike auch mit leerem Akku fahren kann. Das heisst, dass ein wichtiger Basis- oder Hygienefaktor erfüllt ist, auch wenn nicht ganz so gut wie bei einem normalen Velo, da E‑Bikes schwerer sind. Kommt dazu, dass der Elektroantrieb bei E‑Bikes ein Begeisterungsfaktor ist.
Die Kuh melken
Viele werden sich fragen, wieso die grossen Fahrzeughersteller nicht schon vorher mit der Entwicklung von serienreifen Elektrofahrzeugen begonnen haben. Diese liegt eigentlich auf der Hand. Neben den Verschwörungstheorien gibt es auch eine ökonomische Antwort darauf. Man melkt die Kuh, bis sie keine Milch mehr produziert. Erst mit dem Aufkommen von finanzstarken Mitbewerbern fing ein Umdenken an.
Lange gab es kein Startup, welches als ernst zu nehmender Mitbewerber galt. Mit dem Aufkommen von Tesla hat sich dies geändert. Auch Zulieferer und Venture-Kapitalisten spielen eine Rolle, indem sie auf neue Technologien spekulieren und so die Elektromobilität vorwärtsbringen.
Der Durchbruch
Es gibt aber gute Beispiele, die dem Durchbruch helfen könnten. Zum Beispiel Tesla mit seinem massentauglichen Auto Model 3 und den Super-Charger-Stationen. Auch Volvo kann, mit ihrem Commitment, nur noch elektroangetriebene Fahrzeuge ab 2019 zu bauen, stark dazu beitragen. Norwegen macht auch vieles richtig, wenn die Statistiken konsultiert werden. Der Marktanteil an E‑Fahrzeugen liegt bei gut einem Drittel . Im Vergleich dazu sind es in der Schweiz gute zwei Prozent.
Innovativ ist auch das israelische Startup Store-Dot, welches verspricht, mit einer neuen Batterietechnologie die Akkus eines Elektroautos für eine Reichweite von 480 Kilometern in fünf Minuten zu laden. Dann bietet unter anderem Continental ein kabelloses Laden der E‑Fahrzeuge mittels Induktionsladungen an. Mit diesem System liessen sich viele Hygienefaktoren nicht nur erfüllen, sondern zu Begeisterungsfaktoren mutieren. Man braucht dann nämlich keinen Stecker oder Schlauch in die Hand zu nehmen zum Laden. Ein gutes Zeichen dafür, dass sich die E‑Mobilität durchsetzen wird und die Zukunft ist.
Referenz: Dieser Artikel erschien das erste Mal in der Ausgabe 3/2017 der kmuRundschau.